Anne with an E – Wie uns der Hopepunk genommen wurde
Okay, Frage direkt zum Anfang: Wer kommt auf die Idee, „Anne auf Green Gables“ zu verfilmen, aber mit dem Anspruch es realistisch zu machen und dark und gritty und ominös trostlos? Die Macher von „Anne with an E“ anscheinend. Leute, ich habe keinen Bock mehr.
„Anne with an E“
Zugegebenermaßen kommt der Beitrag ein bisschen zu spät, denn anscheinend wurde „Anne with an E“ schon 2019 abgesetzt, und ehrlich gesagt weine ich der Serie keine Träne nach. Dabei hatte sie so viele, wunderbare Ansätze, die ich gerne mehr gefeiert hätte, wenn der Rest der Adaption sich nicht wie ein leicht verstimmtes Klavier angefühlt hätte.
Damit meine ich nicht mal die erzählerischen Freiheiten, die sich die Macher genommen haben. „Anne auf Green Gables“ von Lucy M. Montgomery erschien 1908, als man sich über Diversität und Repräsentation noch keine Gedanken gemacht hat. (Wir machen uns ja heute noch zu wenig Gedanken darüber). Daher fand ich es begrüßenswert, dass z.B. zusätzliche Figuren verschiedener Hautfarben und sexueller Orientierungen eingeführt wurden. Schließlich war auch Kanada Anfang des 20. Jahrhunderts nicht so weiß und cis und hetero, wie wir uns das gerne vorstellen.
Ich verstehe auch völlig, dass man sich bei der dreihundertsten Verfilmung des Stoffes umschaut und überlegt, was man vielleicht noch Interessantes mit dem Figuren anstellen könnte, denn die Szene, in der Anne Gilbert ihre Tafel über den Kopf zerdeppert ist zwar legendär, aber wir haben sie alle schon zwanzigmal gesehen. (Nicht, dass ich sie nicht gut und gerne noch zwanzig Mal sehen könnte weil, „Anne auf Green Gables“, aber ich schweife ab.)
Wider der Hoffnung
Was ich wiederum nicht verstehe ist, warum man sich ein durch und durch wohltuendes Buch, deren Protagonistin sich in erster Linie durch ihre Eigenschaft, die Hoffnung nicht zu verlieren, auszeichnet, nimmt und beschließt, dass man das jetzt ein bisschen düsterer macht. ReAlIsTiScHeR. Diese von Hollywood ausgehende Obsession, hoffnungsvolle Stoffe zu nehmen und einmal durch den Blaufilter zu jagen, nimmt langsam überhand. Ich sag es nur. Insofern ist es schon okay, dass ich den Post ganze zwei Jahre nach der Absetzung der Serie schreibe, denn die Symptomatik bleibt bestehen. Hoffnungsvolle Stoffe und „saubere“ Figuren werden gerne genommen und mit ein bisschen Dreck versehen, um das ersehnte Label „tiefgründig“ zu bekommen. Aber muss das bei wirklich allem sein?
Wir sind nicht hier, um zu sehen, wie Anne Shirley von ihrem betrunkenen Pflegevater verprügelt wird, selbst wenn das durchaus im Bereich des Möglichen für die Figur liegt. Und ich brauche auch keinen düsteren Plottwist, in dem Marilla und Matthew irgendwelche zwielichtigen Tagelöhner als Kostgänger aufnehmen. Wir sind hier nicht bei Charles Dickens.
Ich lese „Anne auf Green Gables“ immer noch regelmäßig, mindestens den ersten Band. Warum? Weil mich die Bücher trösten, weil sie mir Hoffnung geben, weil sie mich für eine Weile in die zauberhafte Welt eines Mädchens – später jungen Frau – entführen, das ein bisschen zu laut, ein bisschen zu impulsiv und ein bisschen zu träumerisch ist. In eine Welt, in der fast immer am Ende alles gut wird.
Darf’s ein bisschen mehr Hopepunk sein, bitte?
Wie schön es wäre, wenn solche Stoffe genau das bleiben dürften, und von Hollywood nicht mit Biegen und Brechen auf „Düster und Realistisch“ getrimmt werden würden, damit am Ende vielleicht eine Emmy-Nominierung rausspringt. Ich brauche keinen Superman, der tötet und ich brauche keine Anne Shirley, bei der man stets befürchten muss, die Drehbuchautoren eröffnen in der nächsten Sekunde, dass das Mädchen nicht nur körperliche sondern auch sexualisierende Gewalt erfahren musste. (Ich habe nach der Hälfte von Staffel 2 aufgehört zu gucken. Bitte sagt mir nicht, dass sowas tatsächlich nachher kam.)
Weil ab und zu, nä? Ab und zu möchte ich einfach ein bisschen heile Welt. Ein bisschen Optimismus und ein bisschen Hoffnung. Packt euren Blaufilter auf Batman, aber lasst mir Annes Schneekönigin und den See der glitzernden Wasser. Dankeschön.
Habt ihr „Anne with an E“ geschaut? Wie fandet ihr es?