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Fräulein liest: „Piranesi“ – Susanna Clarke

“Piranesi” von Susanna Clarke ist das ungewöhnlichste und mit Abstand beste Buch, das ich in letzter Zeit gelesen habe. Eine tolle Erinnerung daran, was Fantasy-Literatur kann, wenn man sie lässt. Ein unfassbar gutes Buch. 

Aber zuerst der Klappentext:

Ein riesiges Gebäude, in dem sich endlos Räume aneinanderreihen, verbunden durch ein Labyrinth aus Korridoren und Treppen. An den Wänden stehen Tausende Statuen, das Erdgeschoss besteht aus einem Ozean, bei Flut donnern die Wellen die Treppenhäuser hinauf. In diesem Gebäude lebt Piranesi. Er hat sein Leben der Erforschung des Hauses gewidmet. Und je weiter er sich in die Zimmerfluchten vorwagt, desto näher kommt er der Wahrheit – der Wahrheit über die Welt jenseits des Gebäudes. Und der Wahrheit über sich selbst.

Piranesi: Etwas gaz Großes

“Piranesi” ist eins der Bücher, wo man schon auf der ersten Seite weiß, dass einen etwas ganz Großes erwartet. Die Sprache ist bildgewaltig und gleichzeitig nüchtern. Der Schauplatz scheint geradewegs aus einem surrealen Gemälde oder einem Albtraum zu stammen, in der die Welt ihren eigenen Gesetzen folgt. 

Susanna Clarke gelingt in “Piranesi” das Kunststück, das Setting des Romans zu einer eigenen, lebendigen Figur werden zu lassen. Man kann den salzigen Geruch des Meere und des Seetangs beinahe riechen, und das Tosen der Wellen hören. Und durch die Augen von Erzähler Piranesi wird aus dem albtraumhaften Ort ein magisches Wunder, ein Haus voller skuriller Schönheit und Zauber.

Eine Meisterin ihres Handwerks

Erst wenn man ein Buch wie “Piranesi” in den Händen hält wird einem bewusst, wie geradlinig die meisten Romane erzählt, und wie wenig neunzig Prozent der Autor*innen aus der Ich-Perspektive machen, wenn sie sie nutzen. Susanna Clarke hingegen? Meine Güte, ihre Herangehensweise an “Piranesi” trägt Züge von Meisterwerken wie Paul Austers “New York Trilogie”.

Die Geschichte in “Piranesi” wird durchweg durch Tagebucheinträge, Zeitungsartikel und Bibliografien erzählt. Piranesi ist ein junger Mann, der sein Leben der Wissenschaft verschrieben hat und akribisch Tagebuch führt. Über alles. Und im Verlauf des Romans muss er feststellen, dass nicht alle seine Tagebucheinträge zusammenpassen. Warum ändert sich die Benennung seiner Tagebücher plötzlich? Warum findet er in alten Tagebüchern Namen, die ihm nichts sagen? Und wer ist der Andere, der ebenfalls in dem Haus lebt?

Stück um Stück setzt sich das Puzzle zusammen

Nach und nach setzt sich das Puzzle für die Leser*innen zusammen. Und auch wenn nach etwa der Hälfte des Buches klar ist, was hinter dem Haus steckt, schmälert das den Genuss von “Piranesi” keineswegs. Es ist ein grandioses Werk, präzise und messerscharf, ein Buch über die menschliche Natur und über Wissenschaft. Eine Frage auch, wie objektiv Wissenschaft wirklich sein kann.

Deutsche Verlage scheinen beschlossen zu haben, dass das Genre “Dark Academia” ein Subgenre des Liebesromans ist. Zumindest sehen die Verlagsvorschauen gewaltig danach aus, und aus Autor*innenkreisen hört man Ähnliches. 

“Piranesi” ist Dark Academia. Nein, es gibt keine Liebesgeschichte und es ist ganz sicher keine Romance.

Was genau es ist, sollte vielleicht doch jeder für sich selbst herausfinden. Ich kann das Buch jedenfalls nur allen ans Herz legen. Und werde mal kurz “Jonathan Strange & Mr Norrell”, ebenfalls von Susanna Clarke, auf meinen Wunschzettel packen. 

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