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Godzilla Minus One (2023)

Godzilla Minus One ist einer der besten Filme, die ich dieses Jahr gesehen habe. War damit zu rechnen? Nein. Und dann vielleicht wieder doch.

Das echsenartige Kaiju Godzilla gehört zu Japan wie Ramen und Kapselhotels. Schon lange, bevor Hollywood sich die Kreatur für mittelmäßige Blockbuster schnappte, stieg Godzilla aus dem Meer und verwüstete in seinen Filmen praktisch jede japanische Großstadt mindestens einmal. Das kann man belächeln – sollte man aber vielleicht nicht.

Gozilla zerstört Tokio
(c) Toho Studios, Japan

Godzilla – ein Monster mit Tiefe

Denn die Ursprünge des Godzilla-Franchises sind durchaus ernst: So entstand der erste Godzilla-Film 1954 unter den Eindrücken der nuklearen Bombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki. Neben Popcorn-Kino und Unterhaltung glänzte der erste Godzilla dabei mit politischen und sozialkritischen Untertönen. 

Mittlerweile gibt es insgesamt dreiunddreißig japanische und fünf amerikanische Filmauftritte des Monsters aller Monster. Die Töne und Qualität der Adaptionen variieren stark, aber für das westliche Publikum wurde in den letzten Jahrzehnten Godzilla vor allem durch die US-Filme zu einer Art Synonym für CGI-Spektatkel ohne großen Anspruch.

Godzilla Minus One – Back to the Roots

In gewisser Weise kehrt das Franchise mit Godzilla Minus One zu den Wurzeln zurück. Angesiedelt im Jahr 1945 erzählt der Regisseur und Autor Takashi Yamazaki behutsam die Geschichte eines jungen Kamikaze-Pilots Shikishima, der nach Kriegsende in das völlig zerstörte Tokio zurückkehrt. 

Shikishima
(c) Toho Studios 2023

Und genau das ist sein Problem, denn als Kamikaze-Pilot war es seine Pflicht, sein Leben für sein Land zu opfern. Von der Gesellschaft als Feigling verachtet, steht Shikishima nun buchstäblich vor den Trümmern seines Lebens. Japan hat den Krieg verloren; er selbst weder Arbeit noch eine Familie, zu der er zurückkehren kann. Seine Eltern sind in den Kämpfen um Tokio gestorben. Nichts ist mehr, wie es war. 

Ein wenig Hoffnung in den Nachwehen des Krieges

Mehr zufällig nimmt Shikishima die junge Noriko und das Waisenmädchen Akiko bei sich auf. Während sich die Zustände im kriegsverwüsteten Japan langsam bessern, entwickelt sich auch zwischen Shikishima und Noriko mehr. Doch Shikishimas Scham ist zu groß, um wirklich eine Beziehung mit ihr einzugehen. Denn vielleicht, wenn er bis zum Ende gekämpft hätte, wäre es Japan besser ergangen.

Shikishima auf dem Minenräumschiff
(c) Toho Studios 2023

Aus der Not nimmt Shikishima eine Arbeit auf einem Minenräumerschiff an. Zur selben Zeit werden im Bikini-Atoll weitere nukleare Tests durchgeführt. Niemand ahnt, dass in der Tiefsee ein Ungeheuer schlummert. Durch die nuklearen Tests wächst die Kreatur zu einem grauenhaften Monster heran, das nun Kurs auf Tokio nimmt…

Godzilla Minus One als Aufarbeitung eines Traumas

In Godzilla Minus One entführt Takashi Yamazaki die Zuschauer in das Japan kurz nach Ende des zweiten Weltkrieges – einen Blickpunkt, den gerade westliche Filme oft vernachlässigen. In stillen, unaufgeregten Bildern und gedeckten Farben erzählt Yamazaki von der absoluten Verwüstung des Landes und dem Elend der Überlebenden, aber auch von dem Unwillen, aufzugeben. 

Wie nebenbei erwacht Tokio von Monat zu Monat, von Jahr zu Jahr wieder zum Leben, beginnt für die Japaner*innen, wieder eine Art von Normalität einkehren. Irgendwann tragen die Figuren keine Lumpen mehr am Leib, sondern frische Kleidung. Tatami-Matten liegen auf dem Boden, und das Dach leckt nicht mehr. Geschäfte entstehen. Ein Land erwacht erneut zum Leben. 

Shikishima und Noriko
(c) Toho Studios 2023

Wie weitermachen nach dem Krieg?

Godzilla Minus One sticht unter vielen anderen Godzilla-Filmen heraus, weil es in erster Linie eine Geschichte über Menschen erzählt. Über diejenigen, die den Krieg überlebt haben und nun mit den Schuldgefühlen kämpfen müssen. Wie macht man weiter, wenn man eigentlich zum Tode verdammt war? Wie lernt man, wieder zu leben, wenn die Familie und Kameraden im Krieg geblieben sind?

Letztendlich ist Yamazakis Film und vor allem Shikishima Geschichte genau das: Eine Annäherung und Aufarbeitung des kollektiven Traumas, das die japanische Gesellschaft mit dem Ende des Krieges erlebte. 

Godzilla als Sinnbild der Zerstörung

Und auch hier spielt Kaiju Godzilla eine bedeutende Rolle – denn wenn das Monster über Tokio hereinbricht, dann mit der unbändigen Zerstörungswut einer kleinen Atombombe. Das kriegsmüde Volk, das sich gerade wieder ins Leben gekämpft hat, steht dem nächsten übermächtigen Feind gegenüber. Wieder geht es um Leben und Tod, und wieder drohen die Menschen, alles zu verlieren. Als Zuschauer lässt einen das, was man in einem Hollywood-Blockbuster mit einem Schulterzucken abgetan hätte, hier durch das kluge Drehbuch nicht kalt.

Gozilla macht Jagd im Meer
(c) Toho Studios

Das vergleichsweise kleine Budget des Films von ungefähr zehn bis fünfzehn Millionen Dollar mag dabei geholfen haben, dem Film eine gute Geschichte und starke Figuren zu geben. Godzilla bekommt gerade am Anfang des Films wenig Screentime, aber wenn er auftaucht, dann geben die Visual Effects alles her, was in den Computern steckt.

Einziger Minuspunkt ist vielleicht das Ende, das dem internationalen Markt angepasst zu sein scheint. Davon abgesehen ist Godzilla Minus One ein wirklich sehenswerter Film, selbst für nicht eingefleischte Fans des Franchises. 

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