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Fräulein liest: „Wenn der Wind singt/Pinball 1973“ – Haruki Murakami

Haruki Murakami, es sollte so schön mit uns beiden werden. Sie und ich, und ein riesiges Gesamtwerk, durch das ich mich in den kommenden Jahren stöbern würde. Ich war sogar was den Sexismus betrifft vorgewarnt. Und dann…

Haruki Murakami: Japans bekannteste literarische Stimme

Der japanische Schriftsteller Haruki Murakami zählt als einer der einflussreichsten Autoren Japans und hat das Kunststück geschafft, international Liebling sowohl des Feuilletons als auch der Lesenden zu werden. 

Ich hatte bisher nur Gutes über Murakami gehört, auch wenn jedes Lob mit Vorwarnungen kam: “Also, wie er über Frauen schreibt ist schon ganz schön sexistisch, aber der Rest ist es wert.” Ich habe einen Magisterabschluss in deutscher und englischer Literatur. Rassistische und frauenfeindliche Meinungen alter weißer Männer auszublenden, gehört quasi mit zum Berufsbild. Ich war vorbereitet.

Anfängerfehler?

Vielleicht war es ein Fehler, die Bücher in chronologischer Reihenfolge lesen zu wollen. Die beiden Erstlingswerke “Wenn der Wind singt/Pinball 1973”* erschienen erstmalig 2015 in der Übersetzung. Bis dato hatte sich Murakami dagegen gewehrt, und strikt von den beiden Romanen distanziert. Auch im Vorwort zu den beiden Romanen, das fast interessanter ist als die eigentlichen Bücher, betont er dies noch einmal.

Es fing ganz gut an. “Wenn der Wind singt” las sich recht schnell weg. Keine Neuerfindung des Rades, aber ein stilistisch wunderbarer Roman mit aus dem Leben gegriffenen Figuren und ganz viel Musik. Der Protagonist ist ein Student, der für die Semesterferien in seine alte Heimatstadt zurückkehrt und dort die Zeit in einer Bar vertrödelt. Nichts bahnbrechendes, aber unterhaltsam. 

Pinball 1973

Dann kam “Pinball 1973”. Das Buch ist eine direkte Fortsetzung von “Wenn der Wind singt” und stark autobiografisch geprägt, auch wenn ich wirklich hoffe, dass die Episode mit den Zwillingen Fiktion ist. In “Pinball 1973” nämlich passiert noch weniger als in “Wenn der Wind singt”, aer weniger gut. Oder, um es anders zu formulieren, kommt bei “Pinball 1973” noch eine gehörige Portion Sexismus dazu.

Der beste Freund des Protagonisten, Ratte, fängt etwas mit einer namenlosen Frau an. Die Sekretärin, die ganz selbstverständlich die Sachen des Protagonisten flickt, erhält ebenfalls keinen Namen. Das ganze gipfelt darin, dass der Protagonist mit (weiblichen) Zwillingen zusammenwohnt und offen zugibt, weder deren Namen zu kennen noch sie auseinanderhalten zu können. Unterscheiden kann er sie nur an der Kleidung, und die jungen Frau werden so kindlich naiv und in bester Manic Pixie Dream Girl Manie dargestellt, dass ich mehrere Male dachte, ich muss jetzt aufgeben. Das reicht.

Weil mir aber “Wenn der Wind singt” doch so gut gefallen hatte und Murakami immerhin moderne Klassiker schreibt, zwang ich mich weiter. Und wenn der Protagonist gerade mal nicht äußerst problematische Beziehungen zu Frauen pflegte, ging es sogar ganz gut. Auch wenn ich für “Wenn der Wind singt” deutlich weniger Zeit brauchte.

Da denkt man an nichts Böses, und dann…

Heute sollte der Tag sein, an dem ich das Buch zuende lese. Ich war motiviert, ich war mental gegen kettenrauchende Männer und Frauen mit Kindchen-Schema gewappnet. Und dann tauchten auf Seite 207 der Taschenbuchausgabe folgende Sätze auf:

Meine Devise war es, eine bestimmte Menge Arbeit in einer bestimmten Zeit zu erledigen, und das so gewissenhaft wie möglich. In Auschwitz wäre mir das sicher zupassgekommen. Das Problem war, dass die Orte, an die ich passte, längst vergangenen Zeiten angehörten. Aber da konnte man eben nichts machen. Nichts würde Auschwitz oder zweisitzige Torpedoflieger zurückbringen.

Und Leute, das war der Punkt an dem ich beschloss, “Pinball 1973” hier und jetzt abzubrechen. Mir ist klar, dass Auschwitz im japanischen Bewusstsein nicht das kollektive Traum beinhaltet wie in der westlichen Welt. Aber ich würde schon aus Respekt niemals leichtfertig mit den Abwürfen der Atombomben über Hiroshima und Nagasaki scherzen, und mir ist egal, ob das zu dem Protagonisten passt oder nicht. 

Wer hat das beim Verlag durchgewunken?

Was mich in diesem Zusammenhang auch brennend interessieren würde: Murakami hat sich von dem Buch distanziert, vermutlich nicht wegen dieser Aussage, aber immerhin. Laut einem befreundeten japanischen Muttersprachler wird auch im japanischen Original Auschwitz explizit verwendet. Fand beim DuMont-Verlag (oder bei btb) keine Auseinandersetzung mit dieser Passage statt? War es eine bewusste Entscheidung, es bei Auschwitz zu belassen?

Die oben zitierte Textpassage ist absolut pietätlos und ein Schlag ins Gesicht für die Opfer der Shoah, und deren Angehörigen. Musste es ein billiger Witz auf deren Kosten sein? Ich bin echt angeekelt. Und ich glaube weniger von Murakami als von der Übersetzung, die hier die Chance gehabt hätte, zu korrigieren. Und ja, das machen Übersetzende ständig, besonders wenn es umkulturelle Anspielungen und dergleichen geht. 

Bye Bye Murakami

Das Buch habe ich jetzt zur Seite gelegt. Ich habe hier noch “Kafka am Strand” liegen aber ich glaube, es wird noch ein bisschen dauern, bis ich mich an den nächsten Roman von Haruki Murakami traue. Schade eigentlich, ich hatte mich sehr darauf gefreut, vielleicht einen neuen Lieblingsautor zu entdecken. Aber ich hab ja noch genug andere Bücher auf meinem SuB.

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