Bücher ThinkPiece

Farbschnitte: Die Buchbranche erfindet sich neu

Farbschnitte, in den USA und UK schon länger ein Trend, spielen auch in Deutschland zunehmend eine Rolle. Ob nun Instagram, TikTok oder ganz einfach in der Buchhandlung – wohin man schaut stapeln sich Bücher mit aufwändig verzierten Seitenkanten. Man könnte den Eindruck bekommen, die Ästhetik des Buches sei mittlerweile wichtiger als sein Inhalt.

Die Geschichte des Farbschnitts

Bücher durch farbig gestaltete Seitenkanten aufzuwerten, ist durchaus keine Erfindung der letzten Jahre. Schon im Mittelalter wurden die Seiten der Bücher an den drei freien Kanten zwischen den Buchdeckeln gerne mit goldener Farbe verziert. Ein paar Jahrhunderte später kam es in Mode, die Seitenränder grün einfärben. Eigentlich ist es also eine Wiederentdeckung. Der Unterschied dürfte aber die Masse sein, in der das nun geschieht. Und vor allem, wie sehr Farbschnitte auf Social Media gehyped werden.

Ein Hype greift um sich

Farbschnitte sind für Verlage recht kostspielig in der Herstellung. Laut einem Artikel in der Zeit Online schafft ein Drucker ungefähr 800 Schnittflächen in der Stunde. Also ein Prozess, der den Buchdruck ziemlich verlangsamt. Gleichzeitig werden die Farbschnitte immer relevanter, und die Druckereien, die diese Buchveredelung anbieten, sind oft schon lange im Voraus ausgebucht. Zitat aus der Zeit Online:

Lieferte CPI 2020 nur 130.000 Bücher mit Motiv-Farbschnitt aus, waren es im vergangenen Jahr mehr als 2,6 Millionen. 

An Farbschnitten kommt man dieser Tage also nicht vorbei. Aber ist das eigentlich etwas Schlimmes?

Tik Tok, Instagram, YouTube – wo Farbschnitte zählen

Ich bin Autorin und leidenschaftliche Leserin, und verfolge diese Entwicklung mit großem Interesse und – da will ich ehrlich sein – auch ein wenig Sorge. Ob ein Buch ein Bestseller wird, wird dieser Tage vor allem auf Tik Tok und Instagram entschieden, wenn an nicht gerade Stephen King heißt. Und in den sozialen Medien wird vor allem visueller, ästhetisch ansprechender Content produziert. 

Eine tolle Schmuckausgabe mit wunderschönen Farbschnitt in die Kamera zu halten, generiert mehr Views und Interaktionen. Also greifen Influencer*innen auf YouTube, TikTok und Konsorten gerne zu den “schönen” Büchern, um diese zu präsentieren. Kann man es ihnen verübeln? Gleichzeitig befürchten Autor*innen weltweit, dass ihre Bücher bei den Leser*innen keine Chance haben, wenn sie keinen Farbschnitt haben. Es entsteht der Eindruck, dass die Optik mehr zählt als das Buch. 

Zählt nur noch die Optik?

Für Verlage scheint sich die aufwändigere Gestaltung der Bücher zumindest auszuzahlen: In der Regel erhält nur die Erstausgabe einen Farbschnitt, was den Sammlerwert erhöht und vor allem die Zahlen der Vorbestellungen in die Höhe treibt. Liegen also zwei Bücher nebeneinander, eins mit Farbschnitt und eins ohne, ist die Chance größer, dass die Kundschaft zum Farbschnitt greift. Sie sehen nun einmal einfach toll aus. 

Natürlich gibt es Leser*innen, die Bücher nach der Optik kaufen und auf Buchmessen taschenweise Schmuckausgaben mit nach Hause schleppen. Doch die Frage bleibt, ob das eine repräsentative Mehrheit ist. Die Wahrheit liegt vermutlich irgendwo dazwischen: Die wenigsten würden ein interessantes Buch nicht kaufen, weil es keinen Farbschnitt und Goldlack auf dem Cover hat. Gleichzeitig hilft eine Schmuckausgabe aber bei der Kaufentscheidung, und zieht definitiv Aufmerksamkeit auf sich. Rein vom Marketing her ist das ein cleverer Schachzug, den sich aber gerade kleinere Verlage nicht leisten können.

Totgesagte leben länger: Das Comeback des gedruckten Buchs

Allerdings, und das sollte auch beachtet werden, wird dem gedruckten Buch seit der Erfindung des E-Books und der Hörbücher ein Massensterben vorausgesagt. Buchhandlungen schließen, wer braucht schon noch Papierbücher, wenn man tausende von Büchern auf dem Kindle haben kann? Von Abo-Angeboten wie Kindle Unlimited ganz zu schweigen. Zudem lassen sich von E-Books spielend leicht Raubkopien erstellen und auf Torrent-Seiten vervielfältigen, was den Verlagen und Autor*innen gehörige Einbußen in den Einnahmen verursacht.

Die Community der Lese-Begeisterten auf den sozialen Plattformen wächst täglich. Ist es nicht schön, dass Lesen immer noch so viele Fans hat? Dass junge Menschen in Buchhandlungen vor den Regalen stehen und leidenschaftlich einander Bücher empfehlen, die sie auf TikTok gesehen haben? Und dabei den stationären Buchhandel bevölkern, der wie kaum eine andere Branche im Einzelhandel unter der übermächtigen Präsenz von Online-Portalen leidet?

Eine Chance für den stationären Buchhandel

Vielleicht sollte man Schmuckausgaben und Farbschnitte von einer anderen Seite betrachten: Weniger als das verzweifelte Bemühen um die Gunst von Influencer*innen, und mehr als trotziges Aufbäumen einer Branche, der seit langem der Tod prophezeit wird. 

Denn werden Romane von den meisten Menschen immer noch als billige Konsumgüter wahrgenommen, setzen Schmuckausgaben ein klares Statement dagegen: Bücher sind wichtig. Bücher sind ein Schatz. Und physische Bücher sind das schönste überhaupt.

Alle Bilder via Unsplash.com

Kommentar schreiben