Unknown (2024) – Right in the Feels
Fast täglich werden in Asien, vor allem in Thailand, Japan und mittlerweile auch Südkorea, neue “Boys Love”-Serien auf den Markt geworfen. Die Qualität variiert stark, echte Perlen sind selten. Und dann gibt es “Unknown” – die Serie, die 2024 alles in den Schatten gestellt hat.
Und darum geht’s:
Wei Qian hatte keinen guten Start ins Leben. Nach dem Tod seiner Eltern kümmert er sich seit seiner Kindheit um seine Schwester Wei Li Li, und um den Straßenjungen Zhi Yuan, den er als jüngeren Bruder adoptiert. Mit Hilfe des Familienfreundes San Pang hält Wei Qian seine kleine Familie über Wasser, und schafft sogar den Absprung aus der Kleinkriminalität zu einem Schulabschluss und CEOs eines Start-Up Unternehmens.
Doch der Frieden ist fragil. Die harte Vergangenheit hat Spuren an Qian hinterlassen, und als er erfährt, dass ausgerechnet Zhi Yuan in ihn nur als einen Bruder sieht, droht Qians ganze Welt zu zerbrechen.
“Unknown” (關於未知的我們) ist eine taiwanesische Serie nach der Buchvorlage der populären chinesischen Danmei-Autorin Priest. Es ist nicht die erste Serien-Adaption eines Priest-Buchs, wohl aber die erste, in der die romantische Beziehung zwischen den Protagonisten nicht der chinesischen Zensur zum Opfer fiel. Taiwan ist, was gleichgeschlechtliche Paare angeht, wohl das progressivste der asiatischen Länder, und legalisierte gleichgeschlechtliche Ehen schon 2019. Dass sich der Inselstaat des Stoffes annahm, stellte sich als absoluter Glücksfall heraus.
„Unknown“ – Behutsam am Klischee vorbei
Fiktionale Stiefgeschwister, die mehr als nur geschwisterliche Zuneigung füreinander empfinden, sind nicht die Neuerfindung des Rades. Ob nun „Eiskalte Engel“ oder „Verbotene Liebe“, das “Inzest, aber nicht so ganz”-Thema rutscht galant am Index vorbei und sorgt doch für ein bisschen Verruchtheit.
Und nur ganz, ganz selten nähert sich eine Adaption so leise und vielschichtig dem Thema wie “Unknown”. Damit ist die Serie nicht nur eine echte Ausnahmeerscheinung im Boys Love-Genre, sondern auch eine der besten Serien aus dem ostasiatischen Raum in 2024.
Nicht nur, dass die Schauspieler auf ganzer Linie durch ihr subtiles Spiel überzeugen, auch das Produktionsteam hatte ganz offensichtlich den Anspruch, einfach eine gute Serie zu machen, statt für das schnelle Geld 08/15-Kram abzuliefern. “Unknown” ist dramaturgisch solide, die Dialoge wunderbar, die Musik dezent eingesetzt. Vor allem die Kameraarbeit sticht durch Kreativität und den bewussten Einsatz deutlich aus anderen Serien hervor.
Viel Platz für die Figuren
In gerade mal 12×30 Minuten schafft “Unknown” es, eine sich über mehrere Jahre spannende Geschichte zu erzählen, ohne je in Hektik zu verfallen. Das liegt vor allem daran, dass Drehbuch und Regie den Figuren unendlich viel Raum geben, sich zu entfalten. Die Serie schafft mit ihren präzise und realistisch gezeichneten Protagonisten das echte Kunststück, Wei Qian und Wei Zhi Yuan so zum Leben zu erwecken, dass man spätestens nach der zweiten Folge die beiden mit seinem Leben beschützen würde.
Ein fragiles Konstrukt
Qian ist in Armut aufgewachsen und hat sein ganzes Leben die Verantwortung für seine Geschwister getragen. Das hat ihn äußerlich hart gemacht, innerlich ist er jedoch zerfressen von Angst und unverarbeiteten Kindheitstraumata. Obwohl er Li Li und Zhi Yuan gegenüber manchmal aus Hilflosigkeit verbal überreagiert, steht die Liebe und Loyalität der Geschwister nie infrage. Qian, der sein ganzes Leben damit verbracht hat, zu arbeiten und seine Familie zu beschützen, gerät in Panik, wenn es um seine eigenen Schwächen und Bedürfnisse geht. Eigene Wünsche hat er kaum, und sich anderen gegenüber verletzlich zu zeigen, kommt einer persönlichen Niederlage gleich.
Zhi Yuan ist bei Qian verhältnismäßig behütet aufgewachsen – wie er als Junge auf die Straße geriet und was mit seiner Familie geschehen ist, wird im Verlauf der Serie nicht weiter thematisiert und ist auch unwichtig. Er bewundert seinen älteren Bruder und versucht, wo es nur geht, ihm zu helfen – auch wenn Qian das meistens ablehnt. Dass er mittlerweile Gefühle für Qian hegt, hält er streng geheim, denn er will Qian um keinen Preis verlieren. Ihm nah zu sein, für ihn da zu sein; Zhi Yuan hat sich damit abgefunden, dass er nicht mehr haben kann. Bis er sich eines Abends hoffnungslos betrinkt und Qian alles gesteht.
„Unknown“ – die Besetzung ist ein Volltreffer
Besonders hervorheben sollte man dabei natürlich die beiden Darsteller Chris Chiu (als Wei Qian) und Kurt Huang (als Wei Zhi Yuan). Die Chemie der beiden miteinander ist nicht zu leugnen, doch sie füllen auch abseits der Liebesgeschichte ihre Figuren wundervoll aus. Chris Chiu verkörpert den vom Leben hart gemachten, ernsten Wei Qian so glaubwürdig, dass es mitunter merkwürdig ist, ihn abseits der Serie lachen zu sehen. Und Kurt Huang spielt Zhi Yuan mit so einer unschuldigen Bewunderung und Hingabe für Qian, dass man ihn am liebsten in den Arm nehmen möchte. (Dabei ist der Kerl 27, muskulös und gefühlt 2,30m groß.)
Ich könnte noch seitenweise über diese Serie schreiben, die mich 2024 so überrascht und “right in the feels” getroffen hat, aber ich höre jetzt auf. Irgendwann muss ja auch mal gut sein. Schaut euch die Serie lieber selbst an und kommt dann zurück, um mir zu sagen, ob ihr Team Qian oder Team Zhi Yuan seid. Ich warte hier.
P.S.: Habe ich mir von einer etwas dubios aussehenden Website das Fotobuch von “Unknown” bestellt? Vielleicht.