Fräulein liest: „The Silence of Bones“ – June Hur
“The Silence of Bones” ist der Debütroman der kanadisch-koreanischen Schriftstellerin June Hur (허주은), und was für einer. Wenn ihre anderen Romane auch so gut sind, hat sie in mir einen neuen, treuen Fan gefunden
Aber fangen wir von vorne an: In “The Silence of Bones” entführt June Hur die Leser*innen in das Korea des frühen 19 Jahrhunderts, als das Land noch Joseon hieß, ein Kaiserreich war und gesellschaftlicher Rang nach strikten Regeln funktionierte. (Wer schon mal ein historisches K-Drama gesehen hat, weiß in etwa, was ich meine.)
Klappentext:
I have a mouth, but I mustn’t speak;
Ears, but I mustn’t hear;
Eyes, but I mustn’t see.
1800, Joseon (Korea). Homesick and orphaned sixteen-year-old Seol is living out the ancient curse: “May you live in interesting times.” Indentured to the police bureau, she’s been tasked with assisting a well-respected young inspector with the investigation into the politically charged murder of a noblewoman.
As they delve deeper into the dead woman’s secrets, Seol forms an unlikely bond of friendship with the inspector. But her loyalty is tested when he becomes the prime suspect, and Seol may be the only one capable of discovering what truly happened on the night of the murder.
But in a land where silence and obedience are valued above all else, curiosity can be deadly.
Kleine Startschwierigkeiten
Ich habe einen Moment gebraucht, bis mich “The Silence of Bones” wirklich gepackt hatte. Da ist zum einen die Erzählperspektive – Protagonistin Seol erzählt aus der Ich-Perspektive, und das ist eigentlich so gar nicht mein Fall. Zum anderen hat mich die Mischung “Joseon, aber offensichtlich für weiße Leute geschrieben” zuerst etwas aus der Bahn geworfen.
Ich mag die Challenge, in eine mir unbekannte Kultur geworfen zu werden und herausfinden zu müssen, wie sie funktioniert. Ich bin da lieber stille aber respektvolle Beobachterin, der nicht alles erklärt wird. Zum Vorwurf machen kann ich es June Hur aber nicht wirklich, da da “The Silence of Bones” für ein junges Publikum gedacht ist, das noch nicht viele Berührungspunkte mit der Joseon-Zeit hatte.
„The Silence of Bones“ liefert
Nachdem mich der Roman dann aber hatte … hatte er mich so richtig. Teilweise ging ich abends mit dem Vorsatz ins Bett, nur noch ein oder zwei Seiten zu lesen, und legte das Buch dann erst eine Stunde später wieder weg.
“The Silence of Bones” ist – soweit ich das einschätzen kann – fantastisch recherchiert. Das Joseon um 1800, die Bräuche und Leute, fühlten sich absolut authentisch an und ich hatte nicht einmal das Gefühl, das mir westliche historische Romane so oft geben: Dass die Protagonistin eigentlich bloß aus dem 21. Jahrhundert zurücktransportiert wurde und sich total unglaubwürdig benimmt.
Eine Heldin mit Tiefe
Wo wir schon bei Seol sind: Bei aller Faszination für die Joseon-Zeit, tauschen möchte ich mit der Protagonistin nicht. Seol ist eine Leibeigene, die in der Hauptstadt Hanyang (das heutige Seoul) dem Polizeibüro dienen muss. Da nach der strengen Etikette des Joseon-Kaiserreichs Männer eine fremde Frau oder deren Sachen nicht berühren dürfen, fällt Seol eine denkbar undankbar Aufgabe zu: Wird irgendwo eine weibliche Leiche gefunden, muss Seol diese in Anwesenheit der Polizei begutachten, und ins Polizeibüro bringen.
Ich mochte sehr, wie stoisch Seol diese Aufgaben erledigt, obwohl sie Seol eigentlich anwidern, und wie sehr Seol deswegen mit sich zu kämpfen hat. Natürlich ist auch Seol ein klein wenig zu laut, zu neugierig, sonst käme die Handlung nicht voran. Aber es bleibt alles im Rahmen, und oft genug fällt die Protagonistin damit auch auf die Nase. Aber dem Tod zu begegnen, damit tut sich Seol bis zum Ende schwer und das machte sie so lebendig und nachvollziehbar. Seol mag es, das Puzzle um den Mord zusammenzusetzen, aber das bedeutet nicht, dass ihr Leichen nichts ausmachen.
How to Write a Murder Mystery and Succeed
Wirklich, wirklich beeindruckt war ich davon, wie sauber die Murder Mystery geplottet war und ausgeführt wurde, und wie sie sich Stück um Stück mit Seols eigener Geschichte zusammensetzte. Nachdem ich ja erst eine eher durchschnittliche (mild ausgedrückt) Murder Mystery gelesen hatte, demonstrierte “The Silence of Bones”, wie man es richtig macht. Die Nebenfiguren im Polizeibüro sind alle in eigene Intrigen und Machtspielchen verstrickt, und jeder hat ein Motiv und könnte der Mörder sein. Meine Vermutungen, wer es warum getan haben könnte, änderte sich mit jeder neuen Beweislage aufs Neue, und ich hatte bis zum Schluss keine Ahnung, wer der Mörder war.
(Noch wichtiger, als die Lösung dann kam, wirkte sie schlüssig und nicht wie aus dem nichts.)
Okay, ich könnte hier noch viel mehr schreiben. Über den wunderbar schlichten, fast nüchternen Schreibstil, der perfekt zum Buch passte. Zu dem geschichtlichen Hintergrund, den June Hur dort anreißt und aufgreift. Über Seols eigene Geschichte und das zugleich wunderschöne und herzzerreißende Ende. Aber dann würde diese Rezension hier völlig aus dem Ruder laufen.
TL;DR: Lest “The Silence of Bones”.